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Ruth Megary , Münchner Merkur- Schloss-Zelt 60ster – Presse
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11 Jahren agoon
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alikhanSie hat ja schon alles daheim in ihrer Wohnung in Schwabing, 4. Stock, kein Aufzug. Ruth Megary muss nur noch unterschreiben. „Die wollen mich“, sagt die Sängerin, Schauspielerin, Grande Dame, Ewigkeitsmünchnerin und Königin der Nacht. Aber sie hatte bisher noch keine Zeit, die Verträge vom Wohnstift am Entenbach, einem Seniorenheim mit eigener Kegelbahn, gescheit durchzulesen. Weil sie dauernd Auftritte hat. Weil sie noch immer knallbegehrt ist. Weil sie ein verrücktes Schwabinger Huhn ist, das irgendwie noch nicht bereit fürs Altenheim ist – und das Altenheim vielleicht auch noch nicht für sie.
Eigentlich ist es unhöflich, bei Frauen übers Alter zu sprechen, aber wenn man die Lebensjahrzehnte mit so viel Grazie hamstert, dann kann man schon mal eine Ausnahme machen, dann kann man es getrost rausposaunen. Ruth Megary ist 90 Jahre alt, kein Stück jünger und sogar bei Facebook. Einer ihrer letzten Einträge: Fotos eines lasziven Auftritts in einer Deggendorfer Disco, Motto der Disconacht: „Puffparty“. Autsch.
Die gebürtige Schwabingerin hatte schon tausendmal exquisitere Veranstaltungsorte als einen niederbayerischer Halligalli-Club. Aber wurscht: Eine Rampenlady wie Ruth Megary braucht die Bühne wie der Maulwurf seinen Hügel. Ohne Bühne keine Gaudi. Ohne Bühne kein Leben. So schaut’s aus in der fabelhaften Welt der Ruth Megary. „Ich bin die älteste Entertainerin, die noch aktiv ist“, sagt sie. Sie ist eine selbsternannte Weltrekordlerin, ein bayerisches Weltwunder. Eine Verkäuferin ihrer selbst. Selbstbewusst vom Scheitel bis zur Sohle. „Seit 72 Jahren“, sagt sie, „bin ich im Beruf.“ Sie ist einer der ältesten Hasen im Showbusiness, sie hat sich einmal quer durchs 20. Jahrhundert gesungen. Die Welt hat Purzelbäume geschlagen und Ruth Megary war irgendwie immer mittendrin. Das ist die Geschichte neben der Geschichte. Das macht sie zu eine einzigartigen Zeitzeugin. 1942 tritt sie in Potsdam im Schloss Sanssouci auf. Das ist damals ein Lazarett und voll mit wundgeschossenen deutschen Soldaten. Junge Sängerinnen trällern ihnen zur Hebung der Kriegsmoral schmalzige Lieder vor. „Wehrmachtstournee“ nennt sich das. Sie lernt Marlene Dietrich kennen, sogar ein Bild von ihr zeichnet sie. Sie hat es noch heute.
Am 8. Mai 1945 tritt Ruth Megary im Schloss Kleßheim bei Salzburg bei der Siegesfeier der Alliierten auf, sie singt „Summertime“, einstudiert in drei Tagen. Zuvor musste sie in einem Dorf im Salzburger Land im Heimatpferdepark für Nazi-Kriegspferde arbeiten. Ihr gefeierter Auftritt im Schloss Kleßheim öffnet ihr Türen: Bis Ende der 1950er-Jahre ist sie bei der Truppenbetreuung der 3. US Infanteriedivision engagiert. Später hat sie die zweifelhafte Ehre, in Belgrad für den jugoslawischen Diktator Tito zu singen, auch er will „Summertime“ hören.
Um all ihre Auftritte aufzuschreiben, bräuchte man ein paar eng bedruckte DIN-A4-Blätter. „Ich liebe die Musik“, sagt sie. „Und ich lebe fürs Publikum.“ Kaum eine Bühne war früher vor ihr sicher. „Meine Stimme ist heute noch da. Das hohe C hab’ ich noch immer drauf“, sagt Ruth Megary, während sie in ihrem Stammcafé am Josephsplatz in München vor einer Tasse Schoki sitzt. Zum Beweis, man weiß gar nicht, wie einem geschieht, steht dieses 90-jährige Powerfräulein plötzlich vom Tisch auf, sagt noch „wurscht, des mach i jetzt einfach“ – und schmettert ein paar Töne in den Raum. Wahrscheinlich auch einige hohe Cs.
Es ist eine Pracht, der ausgebildeten Opernsängerin zuzuhören. Diese Frau hat ordentlich Bumms, keine Angst und knallroten Lippenstift aufgetragen. Sie ist Profi, Unterhaltungsprofi, der genau weiß, dass es in dieser Branche auch auf das Äußere ankommt. „Ich bin selbstbewusst erzogen“, sagt sie. Im Star-Club in Hamburg hat sie die Beatles getroffen und gleich mal Ringo Starr angesprochen. Später ist sie mit der „Weißblauen Lachparade“ auf Bayerntour, zusammen mit Künstlern wie Fred Bertelmann und Marianne und Michael. Sie trinkt noch einen Schluck Schoki, dann sagt sie: „Ich habe ein tolles Leben.“ Keine Frage. Eine putzmunterere 90-Jährige findet man wahrscheinlich in ganz West-Schwabing nicht.
Heute, acht Jahrzehnte später sitzt Ruth Megary in Schwabing in einem Café, das nur ein paar Meter von der ehemaligen Bäckerei der Eltern entfernt ist. Sie sagt: „Damals hab’ ich den Wert des Geldes schätzen gelernt. Wenn man kein Geld hat, dann muss man sterben. Das habe ich damals geglaubt. Das hat sich eingebrannt.“ Mit ihren Gagen als Sängerin bringt sie teilweise die ganze Familie durch. Sie heiratet einen Opernsänger, aber ihr Ehemann ist schon vor vielen Jahren gestorben. Ruth Megary hat Engagements im berühmten Münchner Apollo-Theater, später tritt sie 15 Jahre lang als „Rosa Zacherl, die Zeitungsfrau vom Münchner Hauptbahnhof auf“. Es ist ihre Paraderolle. Sie erzählt vom täglichen Wahnsinn am Hauptbahnhof, von einem älteren Herrn, dem sie das Gebiss beim Gähnen geklaut haben und von sonstigen Katastrophen im Pendleralltag. Ruth Megary kann heute noch am laufenden Band Witze aus ihren alten und neuen Programmen erzählen. Aber, sagt sie, bittschön nicht alle aufschreiben. Sonst klauen sie andere. Oder – das wäre das Allerschlimmste – keiner kommt mehr zu ihren Auftritten, wenn die Gags schon bekannt sind.
Am Ruassigen Freitag hat sie übrigens den nächsten Auftritt. Es ist wieder „Puffparty“, diesmal in München. Ruth Megary ist der Stargast: „Je älter die Geige“, sagt sie, „desto besser der Klang.“ Sie kann ihren Auftritt in der Disco kaum erwarten. Wieder ein Tag, an dem die Unterlagen vom Seniorenheim todsicher ungeöffnet in der Schublade liegen bleiben werden.
Stefan Sessler